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Wenn die Endlichkeit Wirklichkeit wird ...

Aktualisiert: 21. Nov.

Gibt es einen guten Umgang mit dem Tod? Diese Frage stelle ich mir – und mache mich auf die Suche nach Antworten. Dabei entdecke ich spannende, das Bewusstsein erweiternde Zusammenhänge, die sich plötzlich auftun ... wenn man sich nur richtig traut, dieser Frage einmal konsequent nachzugehen. Ich danke Telsa Danker, Eric Wrede, Albert Kitzler und Corinna Brod für ihre wichtigen Impulse auf dem Weg über dieses Thema schreiben.


Der Herbst naht, die Blätter fallen, die Tage werden kürzer, und spätestens mit dem Monat November wird einem die Vergänglichkeit des Seins alle Jahre wieder bewusst. Den Höhepunkt bildet der Totensonntag, der dieses Jahr auf den 23. November fällt. Ein Tag, der uns dazu anhält, der Toten zu gedenken. An diesem Tag ehren wir sie, bringen ihnen vielleicht Blumen ans Grab oder sind zumindest für einen Augenblick in Gedanken bei ihnen.



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Was an diesem Tag so selbstverständlich ist, wird jedoch im Alltag in unserer Gesellschaft oft tabuisiert und ausgeblendet. Aber gehört dieses Thema nicht ebenso zum Leben wie jedes andere auch? Und, wenn ja: Wie findet man zu einem guten Umgang mit dem Tod?


Tod und Sterben in der heutigen Gesellschaft


Er wird oft als finster, unfair und meistens als das Schlimmste empfunden, was einem passieren kann. Der Tod wirft zu viele Fragen auf, reißt Löcher, die niemand stopfen kann. Und ganz gleich, welche Antworten der eigene Glauben oder die eigene spirituelle Haltung darauf geben, hinterlässt er meist Trauer und oft Wut und Verzweiflung. Viele begegnen ihm deshalb mit Furcht und Ablehnung. Gerade in unserer heutigen Leistungsgesellschaft, wo der Fortschritt nicht schnell genug vorangehen kann, wo ewige Jugend und Gesundheit Vorrang zu haben scheinen, hat man das Gefühl, dass der Tod als Thema keinen Platz in der Gesellschaft hat.


Laut einer Studie des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes (DHPV) wünschen sich mehr als die Hälfte aller Befragten, dass sich dies ändert und die Gesellschaft sich wieder mehr mit dem Sterben auseinandersetzt. Das Thema soll wieder in die Gesellschaft zurückkehren, sichtbarer und greifbarer werden. Doch wie nähert man sich der teils unerträglichen Schwermut der Vergänglichkeit, mit ungewissem Ausgang, an?



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Persönliche Erfahrungen


Mich bewegt der Tod seit meiner Jugend. Das erste Mal als ich mit ihm in Kontakt kam, war ich 14 Jahre alt. Mein Vater verstarb plötzlich – für mich ein Albtraum. Dass dieser wichtige Mensch für immer und alle Zeiten verschwunden war, im Nichts und Nirgendwo, und dies ohne Verabschiedung, brach mir das Herz. Es dauerte lange Jahre für mich, dieses Ereignis in meinem Leben aufzuarbeiten. Dabei fragte ich mich immer wieder: Muss das so sein?


Dann, im Jahr 2009, während eines Krankenhausaufenthaltes, hatte ich als Bettnachbarin im Zimmer eine 81-jährige Frau aus Berlin-Pankow, Frau Lindemann. Eigentlich war sie topfit und total lebensbejahend. Aber sie hatte Diabetes, und man amputierte ihren Vorderfuß. Angeblich ein Routineeingriff, nach dem sie schnell wieder entlassen werden sollte.


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Eines Nachts wachte ich auf, weil sie vor Schmerzen wimmerte. Es war unübersehbar: Sie rang mit dem Tod. Über mehrere Tage, besonders nachts, kämpfte sie gegen eine Art unsichtbaren Feind an. Abgesehen von der medizinischen Versorgung war niemand da außer mir, der auf sie eingehen konnte. Angehörige gab es nicht.


Diese kleine, alte Dame wuchs mir ans Herz. Ich versuchte, ihr auf liebevolle Art und Weise mit Zuhören und Gut-zureden zu helfen, mehr konnte ich nicht tun. Ehrlich gesagt war ich total überfordert, ratlos und sehr traurig. Sie hatte eine so enorme Furcht vor dem Tod und kämpfte so hart dagegen an, bis sie sich irgendwann ergab. Nicht freiwillig, hatte ich das Gefühl, sondern weil sie keine Kraft mehr für weiteren Widerstand hatte.



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Ich verließ das Krankenhaus und wusste, dass ich das so nie wieder erleben wollte. Die Zeit neben ihr war das Angsteinflößendste, was ich je erlebt habe. Wir beide waren so hilflos. Und als wollte mir das Leben etwas damit sagen, sollten diese beiden Erlebnisse mit dem Tod nicht die einzigen bleiben. Sie waren fast wie eine Vorbereitung auf das, was dann kam, denn zwei Jahre später lag meine allerliebste Freundin Sara, die mitten im Leben stand und eine junge Tochter hatte, auf einmal im Koma und war dabei zu sterben. Weder gab es eine Patientenverfügung noch hatten wir jemals darüber gesprochen, wie sie sich ihre Beerdigung vorstellen könne. Lange Zeit über hatten wir mitten im Leben gestanden, und der Tod schien unendlich weit weg. Ein Trugschluss, wie ich heute weiß.


Was ist eigentlich der Tod?


Der Tod bedeutet das Ende des Lebens, er ist der Moment des Abschieds. Manchmal kommt er auf leisen Sohlen, manchmal ganz plötzlich. Wann und wie wissen wir nicht, genauso wenig, was eigentlich danach kommt. Sicher ist nur, dass er zum Leben dazu gehört und man sich nicht von ihm trennen kann. Wäre es da nicht besser, die Konfrontation rücke in die Mitte der Gesellschaft?


Der indische spirituelle Lehrer Osho (1931-1990) sagte über den Tod: „Das größte Mysterium im Leben ist nicht das Leben selbst, sondern der Tod. Im Tod wird das ganze Leben zusammengefasst, im Tod kommst du an. Das größte Unglück, das dem menschlichen Verstand widerfuhr, ist, dass er gegen den Tod ist. Wenn du gegen den Tod bist, entgeht dir das größte Geheimnis. Und gegen den Tod zu sein, heißt auch, dass dir das Leben selbst entgeht – denn sie sind tief miteinander verwoben. Das Leben wächst, der Tod ist seine Blüte. Die Reise und das Ziel sind nicht getrennt – die Reise endet im Ziel.“ *


Das Leben als Reise anzusehen, erschließt sich mir – ihn als Höhepunkt des Lebens zu betrachten, erfordert sicher eine gewisse spirituelle Entwicklung und eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Leben. Gerade wenn es einen Menschen trifft, der noch am Anfang seines Lebens steht oder wenn es jemanden mitten im Leben trifft, vielleicht auch noch völlig überraschend, dann wird dies oft als dramatisch und grausam erlebt. Aus Erfahrung weiß ich aber auch, dass das Verschweigen und Verdrängen dieser Themen oft zu noch mehr Furcht und Schrecken führt, wenn diese dann doch plötzlich auftauchen.


Wenn dein Schicksal dein Lehrer wird.


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Das Leben hat seinen eigenen Lauf und richtet sich manchmal wenig danach, was wir uns darunter vorstellen. Ich bin sicher, dass uns gerade sehr tiefgehende Erfahrungen zu dem Menschen machen, der wir sind. Die auslösenden Ereignisse ebnen uns oft den Weg und bieten eine Chance. Ich konnte und wollte den Tod nicht als den schlimmsten Feind meines Lebens ansehen – und begab mich auf die Suche nach einer Versöhnung mit ihm. Er lehrte mich das Philosophieren, um den Dingen weitmöglichst auf den Grund zu gehen. Er ließ mich nicht an der Oberflächlichkeit des Lebens verweilen, er zeigte mir, dass es zwischen Himmel und Erde noch etwas anderes geben muss.


Und so wurde mein vermeintlich ärgster Feind derjenige, der mir den Weg ebnete und mir half, aus einer Schwäche eine Stärke zu entwickeln. Vielleicht kann ich mein Schicksal nicht ändern. Aber von Schicksal zu Schicksal, genau dazwischen, habe ich die Wahl, wie meine Sicht auf das Leben ist. Ich kann mich für ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Leben entscheiden. Meine Erfahrungen mit dem Tod zeigten mir, dass es für mich darum geht, mich nicht zu sehr von Ängsten treiben zu lassen, sondern möglichst aus Liebe zu handeln. Denn, wenn meine Zeit gekommen ist mit ihm zu gehen, davon bin ich überzeugt, gibt es nur wenige Fragen, die übrig bleiben.


War es okay, so wie es war?

Hast du dich ausgelebt?

Das Bestmögliche für dich erreicht?

Alle Erfahrungen gemacht, die du machen wolltest?

Bist du in Versöhnung mit allem und in Frieden?

Bist du bereit, Abschied zu nehmen von dir und der Welt?


Und ich habe beschlossen, möglichst Ja zu sagen! Und das ist das größte Geschenk, das er mir machen konnte: Das Ja zum Leben!


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Meine Erfahrungen lasse ich in meine Arbeit einfließen und versuche all jenen, die vielleicht an einem Punkt sind, an dem es scheint, dass es nicht weitergeht, zu helfen, wieder Mut zu fassen und zu sich zu kommen, um Selbstliebe und Lebensfreude zu entwickeln. Die Erfahrung mit dem Tod hat mich auf den spirituellen Weg gebracht und mir zu einem starken Glauben verholfen. Über ihn habe ich zum Weg des Yoga gefunden, und der wiederum hat mich zu den Einweihungen in Reiki geführt. Die beiden größten Geschenke meines Lebens!


Radikal & dramatisch?


Doch eines bewegt mich bis heute, wenn ich auf meine Erlebnisse mit dem Tod zurückblicke: Muss der Tod so radikal, dramatisch und manchmal fast gewaltsam sein? Und man selbst so unvorbereitet und völlig hilflos dabei? Was, wenn in allen drei Fällen, die ich erlebt habe, mehr Vorsorge betrieben worden wäre?


Ich hätte mir gewünscht, dass in meiner Kindheit und Jugend das Thema Tod mehr zur Sprache gekommen wäre. Dass Frau Lindemann sich ihrer Sterblichkeit schon während ihres Lebens bewusster gewesen wäre – und sie dann im Moment ihres Todes nicht so hätte leiden müssen. Und dass meine liebe Freundin Sara für den unmöglichen Fall der Fälle vorgesorgt hätte, auch schon mit 31 Jahren. Noch heute kommen mir Gedanken, was sie wohl zu all unseren Entscheidungen gesagt hätte, die wir nach ihrem Tod für sie treffen mussten, ohne dass sie darauf Einfluss nehmen konnte. Doch wie kann ich mich vorbereiten? Wie kann ich vorsorgen? Und was sagen meine engsten Vertrauten zu diesem Thema?


Vorsorgen – aber wie?


Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Testament – ehrlich gesagt fühle ich mich überfordert, wenn ich beim Recherchieren lese, was es heutzutage alles braucht, um Vorsorge zu treffen. Ich frage mich: Wie geht es meinen engsten Mitmenschen? Doch der Versuch, das Thema im Freundeskreis anzuschneiden, war nicht sehr erfolgreich. Je jünger der Mensch ist, den ich anspreche, umso weniger Offenheit ist für dieses Thema da. Und wenn doch, dann heißt es oft: „Ach, komm, lass uns noch nicht daran denken. Lass uns doch etwas anderes tun.“


Ist es vielleicht einfach nicht möglich, sich auf leichte, unbekümmerte Art und Weise mit der eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen, vor allem wenn man mitten im Leben steht?

Warum blenden viele dieses Thema komplett aus? Schließlich kümmert man sich und sorgt für so vieles im Leben vor. Zum Beispiel wenn ein Kind geboren wird. Dann haben Eltern monatelang Zeit, sich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Sie besuchen Kurse zur Vorbereitung, richten Kinderzimmer ein, suchen den perfekten Namen, mit viel Liebe wird die Geburt erwartet und eingeleitet. Wäre es nicht auch angemessen, sich dem Thema Tod bereits im voraus ausführlich zu widmen? Was macht das mit mir, mit jemandem, der eigentlich mitten im Leben steht? Kann man es nicht sogar so sehen, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod letztlich gar meine Lebendigkeit stärkt, weil ich mir dadurch der Endlichkeit bewusst werde?


Ein Ausspruch aus einem Brief des römischen Philosophen Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.) lautet:

„Wir müssen uns eher auf den Tod, als auf das Leben vorbereiten. Das Leben erfordert keine sonderliche Fürsorge, aber wir haschen mit Begierde nach Mitteln für dasselbe. Es ist uns, als fehle uns etwas, und so wird es immer sein. Das Gefühl, genug gelebt zu haben, ist nicht eine Frucht der Jahre und Tage, sondern der Seelenverfassung. Ich, lieber Lucilius, habe genug gelebt. Mein Hunger ist gestillt. Ich sehe dem Tode ruhig entgegen.“

Der Philosoph und Autor Albert Kitzler (geb. 1955) interpretiert diesen Ausspruch so:

„Wir können Seneca glauben, denn wie kaum ein anderer hat er alle Höhen und Tiefen menschlichen Daseins durchlebt. Aber er führt diese ruhige, erfüllte ‚Seelenverfassung’, die Selbstgenügsamkeit, nicht auf diese Erfahrungen zurück, sondern auf die Einsicht (Weisheit), zu der er durch lebenslange Studien und Übungen gelangt ist.“

Klingt das nicht etwas lebensmüde?


Albert Kitzler: „Das Zitat klingt pessimistischer, als es gemeint ist. Seneca will sagen, dass der Weise nicht mehr von Begierden getrieben wird, sondern mit sich und dem, was das Leben von sich aus gibt und gegeben hat, sein Genügen gefunden hat. Er mag noch Wünsche haben, aber sein Glück und Wohlbefinden, seine heitere Gelassenheit, seine innere Geborgenheit sind nicht mehr von deren Erfüllung abhängig. Die innere ‚Vorbereitung auf den Tod’ aber hielt er für das beste Mittel, das zu genießen, was das Leben ihm noch schenkt, solange er lebt.“


Erfahrungen aus der Sterbebegleitung


Ich verabrede mich mit Telse Danker zu einem Gespräch. Sie arbeitet hauptberuflich als Heilpraktikerin und ist Reiki-Meisterin. Sie hat jahrelange Erfahrung in der Sterbebegleitung und ist vertraut mit dem Thema Tod und Sterben. Viele Menschen hat sie auf dem letzten Weg begleitet, und sie kann mir sicher aus Erfahrung sagen, wie wichtig die Auseinandersetzung damit wirklich ist – und was es braucht, um optimal vorbereitet zu sein.


Wie wichtig ist es deiner Erfahrung nach, das Thema Tod nicht zu verdrängen?

Telse Danker: „Ein Lehrer sagte mal: Es gibt zwei Nachrichten: eine gute und eine schlechte. Die Gute ist, dass wir alle sterben müssen – und die schlechte: keiner weiß wann. Danach lebe ich!“


Würdest du sagen, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit positive Auswirkungen auf das Leben im Jetzt hat?

Telse Danker: „Die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit ist sicherlich die lebendigste Form des Umgangs mit dem Leben. In meinen Augen ist es auch völlig normal. In meiner intensiven Zeit der Sterbebegleitung habe ich am meisten geweint und vor allem gelacht und natürlich mitempfunden. Es gehört Mut und Geduld und für mich natürlich Reiki dazu.“


Wie siehst du das Thema „Vorsorge mitten im Leben“?


Telse Danker: „Vorsorge ist für mich jede Auseinandersetzung zum Thema Vergänglichkeit und Klärung der eigenen Beziehung zu mir, meinem Körper, meiner Umgebung und vor allem zu den Menschen, die mir am Herzen liegen. Automatisch komme ich irgendwann hier und heute an, und auch bei meinem eigenen Sterben und Geborenwerden in jedem Moment, mit jedem Atemzug.“


Wie sinnvoll ist es, sich „mitten im Leben“ mit dem Thema Vorsorge zu beschäftigen, und wie kann diese aussehen?

Telse Danker: „Heute, denke ich, ist es enorm wichtig, mit den Menschen seines Vertrauens über eigene Wünsche zu sprechen und eine rechtliche Vorgabe in Form von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu hinterlegen. Wer etwas zu vererben hat, kann aus Mitgefühl, den Erben gegenüber, die Wichtigkeiten handschriftlich mit Datum und Unterschrift versehen und hinterlassen. Allein die Auseinandersetzung mit diesen Verfügungen und Vollmachten setzen einen Prozess in Gang, der unterschiedlich lang sein kann und sicherlich zu einem bewussteren und glücklicheren Leben führt.“


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Lebensbejahend bis ans Ende der Tage – aber wie?


Sich mit dem Thema nicht erst dann zu beschäftigen, wenn es unmittelbar soweit ist, das empfinde ich auch als sehr wertvoll. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Integration der Endlichkeit in mein Leben mein Bewusstsein für den Moment ändert. Eine lebensbejahende Einstellung bis zum letzten Atemzug und darüber hinaus wäre wünschenswert. Ich lese, dass es die Begleitung während des Sterbeprozesses, die Palliativmedizin, erst seit etwa 30 Jahren gibt. Vorher starb man zu Hause, bei der Familie. Doch kann diese in der heutigen Zeit meist längst nicht mehr das leisten was zum Beispiel ein Hospiz bietet. In der Sterbebegleitung gilt es, die letzten Tage so angenehm wie


möglich zu gestalten. Schmerzen müssen heutzutage nicht mehr sein, manche sagen, sie verfälschen den Blick auf wichtige Dinge im Sterbeprozess. Im Hospiz, in der Palliativmedizin, versucht man, schwere Symptome schulmedizinisch, alternativ und rein menschlich zu mindern und letzte Wünsche noch zu erfüllen. In Würde sterben ... das hätte ich auch Frau Lindemann gewünscht.


Wie kann Sterbebegleitung aussehen?


Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, den Übergang so leicht wie eben möglich zu gestalten. Psychotherapie, Atemtherapie, Aromatherapie, Meditation, Homöopathie, Reiki, Musiktherapie u.v.m. Das heißt: Auch in der letzten Phase meines Lebens kann ich mich (noch) für alternative Methoden entscheiden. Der Markt wächst, und die Möglichkeiten sind vielfältig. Viele Sterbebegleiter arbeiten ehrenamtlich, so ist die Inanspruchnahme einer Sterbebegleitung oft auch keine Frage des Geldes. Da ich selber Prozessorientierte Homöopathie in Anspruch nehme, mir und anderen regelmäßig Reiki gebe, Yoga praktiziere und unterrichte, bin ich absolut sicher, dass ich das im Sterbeprozess auch als Unterstützung möchte – und wohl auch brauchen werde. Da ich die Reiki-Einweihung in den 2. Grad erhalten habe, interessiert mich besonders das Thema „Reiki und der Sterbeprozess“.


Universelle Lebensenergie in der Sterbebegleitung


Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Reiki dabei helfen kann, die Dinge leichter anzunehmen wie sie sind. Oft stellt sich während einer Reiki-Behandlung eine tiefe Verbundenheit mit dem großen Ganzen ein und löst Geborgenheit aus. Reiki kann im Alltag helfen, das innere Licht wieder zum Leuchten zu bringen. Besonders in Momenten, in denen die Situation vermeintlich dunkel und ausweglos erscheint. Ich bin sicher, wenn ich damals schon die Reiki-Einweihung gehabt hätte, dann hätte ich Frau Lindemann und meiner Freundin Sara Reiki gegeben, in ihren schwierigsten Stunden. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht ändern – nur die Zukunft liegt in unserer Hand.

Ich gehe noch einmal auf Telse Danker zu. Sie begleitet und hilft Menschen seit vielen Jahren mit ganzheitlicher Sterbebegleitung, dabei liegt ihr Reiki besonders am Herzen. Von ihr möchte ich nun wissen, wie Reiki in der Übergangsphase helfen kann und wie sich die Übertragung der universellen Lebensenergie auswirkt, auf die letzten Atemzüge im Leben.

Telse Danker: „In jeder Phase des Lebens und auch des Sterbens ist für mich Reiki zu der praktikabelsten und einfachsten Form der Begleitung, Verarbeitung und sogar Schmerztherapie für Körper und Geist geworden. Es ergibt sich bei jedem eine andere Vorliebe und Verbindung zu helfenden Therapien und Hilfestellungen. Der Effekt, der sich einstellt, ist der Raum-Effekt, den ich mit allumfassender Liebe gleichsetze. Aber auch das hat mit den Erfahrungen der Zeit zu tun, in der sich diese Weite entwickeln kann.“


Was muss ich beachten, wenn ich im Sterbeprozess jemanden mit Reiki unterstützen möchte?

Telse Danker: „Ein wesentlicher Punkt im Umgang mit Sterbenden ist der Respekt. d.h. ich frage oder ich werde gefragt, ob ich denjenigen anfassen darf, und auch wo, und Reiki geben darf. Fernreiki ist hier oftmals angezeigter, um die Bedingungen des Drumherums nicht zu stören. Wenn ich direkt Reiki geben darf, lege ich die Hände gerne auf’s Herz und Solarplexus. Bei Personen, die noch ansprechbar sind, nehme ich zuerst die Hand. Die Bereitschaft des Gegenübers ist die Voraussetzung. Dies beinhaltet auch oft den inneren Dialog. Mit anderen Worten: Kopf und Bauch passen oft nicht zusammen. Mit Reiki findet diese Heilung statt – nicht unbedingt nach einer Sitzung, aber oft nach der zweiten oder dritten.“


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Was genau bewirkt Reiki deinen Erfahrungen nach?

Telse Danker: „Reiki kann bewirken, dass die Bereitschaft, aus diesem Leben zu gehen, durch den Prozess der inneren Versöhnung und Heilung relativ schnell stattfindet. Jeder, der Reiki gibt und dann hört „Der Reiki-Empfänger (der Sterbende) ist gestorben“, sollte sich mit diesem Aspekt der Heilung vorher auseinander gesetzt haben. Es ist immer die Liebe bzw. Reiki, das zur Heilung führt, niemals das Ich. Diese Erfahrung gilt für den unmittelbaren Sterbeprozess.“


Wirkt Reiki auch nach dem Prozess des Sterbens?

Telse Danker: „Ich werde oft gebeten, die Person auch nach dem körperlichen Tod noch zu begleiten und ihr den „Weg zu zeigen“. Auch das ist eine Form von Sterbebegleitung und Heilarbeit, die ich gerne tue, die aber auch von den begleitenden Personen abhängig ist. Auch in der Trauerarbeit – bei denen, die zurückbleiben – habe ich mit Reiki sehr berührende Erfahrungen gemacht.“


Die neue Bestattungskultur – auf hoher See, mit Delfinen?


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Mal abgesehen davon, was nach dem Tod auf geistiger Ebene passiert, interessiert es mich, was mit meinem Körper geschieht, nachdem ich gestorben bin. Wie soll eigentlich meine Beerdigung aussehen? Was wünsche ich mir? Was darf ich, was nicht? Meine Freundin Sara war damals viel zu jung. Wir hatten nie über dieses Thema gesprochen, dafür war mit gerade einmal 30 Jahren einfach keine Zeit. Uns erschien das Leben unendlich, und wir genossen jeden Augenblick. Doch als es dann plötzlich soweit war, war es zu spät für diese Fragen. Sie hatte eine wirklich schöne Beerdigung, fanden wir. Wie sie es gefunden hätte, wissen wir nicht. Ich wünschte mir, wir hätten darüber geredet.


Über solche Themen zu reden, empfiehlt auch Eric Wrede. Er ist Bestatter aus Berlin (lebensnah – individuelle bestattungen) und hat eine „Vorsorge zum Einstecken“ entwickelt. Das ist ein kleiner Pass für die Tasche, auf dem das Wichtigste zu diesem Thema in Kürze bereits zu Lebzeiten von jedem festgehalten werden kann. Was mich angeht, so habe ich zum Beispiel die romantische Vorstellung einer Seebestattung mit Delfinen im Mittelmeer. Vor einiger Zeit habe ich in der Nähe von Formentera im freien Meer ein paar Stunden mit einer Gruppe Delfinen verbracht. Es war traumhaft schön, und die Vorstellung, dass meine Asche eines Tages dort verstreut werden könnte, macht mich glücklich.


Ich spreche mit Eric und stelle fest, dass er mich dazu bringt, nicht nur darüber nachzudenken, was ich will. Er fragt mich auch, ob ich denn schon mal mit meiner Mutter darüber geredet hätte, was sie sich im Fall der Fälle für meine Beerdigung wünscht? Oder meine Freunde? Ich muss zugeben, dass meine Vorstellungen bis zu diesem Gespräch eigentlich ziemlich

egoistisch waren, und ich überhaupt nicht daran gedacht habe, welche Möglichkeiten meine Vorstellungen bieten, wie ich andere mit ihrer Trauer zurücklasse. Von Eric will ich wissen, welche Arten der Bestattung es heutzutage in Deutschland gibt.


Eric Wrede: „Grundsätzlich laufen aktuell alle Bestattungsformen auf zwei Varianten hinaus: eine Erdbestattung im Sarg oder eine Feuerbestattung, bei der die mineralischen Reste deiner Knochen in einer Urne aufbewahrt werden, nachdem du in einem Sarg verbrannt worden bist. Alle anderen Varianten sind nur Unterarten. Ich empfehle eigentlich immer folgende Fragen mit einem Freund bzw. der Familie zu besprechen: Wenn ich es mir aussuchen kann, wo und wie möchte ich sterben? In einem Hospiz, zu Hause mit einem ambulanten Dienst etc.? Welche Menschen möchte ich um mich haben? Möchte ich Menschen erlauben, sich bei mir zu verabschieden? Möchte ich eine Trauerfeier? Wer soll die gestalten, was möchte ich selber?“


Die Individualisierung des Lebens setzt sich heute fort bis in den Tod, liest man überall. Den Möglichkeiten sind angeblich keine Grenzen gesetzt. Ich habe beispielsweise die romantische Vorstellung einer Seebestattung meiner Asche im Mittelmeer, vielleicht dort, wo auch Delfine schwimmen. Wäre so etwas möglich, und, wenn ja: Wie realistisch ist dieser Wunsch? Eric Wrede: „Total realistisch. Dennoch muss man natürlich sagen, dass es nicht zu 100 Prozent erlaubt ist. Mit dem richtigen Bestatter wirst du aber immer eine passende Antwort finden. Du brauchst nur jemanden, der abseits vom Bestatter diese Wünsche für dich umsetzt.“


Welche Dinge sind zu beachten, wenn ich mich schon zu Lebzeiten für eine Bestattungsart entscheiden möchte?


Eric Wrede: „Relativ wenig, im Zweifel reicht ein Zettel, wie zum Beispiel unser ‚Vorsorge zum einstecken’-Zettel.“


Man muss sich entscheiden – die Qual der Wahl


Nur noch jeder zweite Deutsche wählt die ewige Ruhe in einem Reihengrab. Die Toten reisen heutzutage manchmal auch in die Schweiz, in die Niederlande oder in andere Länder. In Deutschland bleibt laut Gesetz neben der klassischen Beisetzung auf dem Friedhof im Grunde nur die Seebestattung oder eine Baumbestattung. Nach dem Gespräch mit Eric wird mir bewusst, dass meine Vorstellungen von meiner Bestattung vielleicht tatsächlich etwas zu egoistisch sind und ich darüber erst einmal mit meinen engsten Vertrauten sprechen möchte. Doch auf einem Friedhof irgendwo zu liegen, das kommt für mich nicht in Frage. Mein persönlicher Bezug zur Nord- oder Ostsee ist auch nicht sehr groß. Von daher wünsche ich mir etwas, das zu mir passt. In Frankreich zum Beispiel werden Bestattungen in der Luft angeboten. Von den USA und von Russland aus kann man sogar im All beerdigt werden. Schon eine etwas verrückte Variante! Ich suche nach etwas, das zu mir passt, zu meiner Sehnsucht nach Freiheit und meiner tiefen Verbundenheit mit der Natur.


Mein eigener Baum als Grabstätte – im Wald versunken


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Die Idee, mitten im Wald einen Platz zu reservieren, gefällt mir jetzt immer mehr. Freiheit, mitten in der Natur, die Grabpflege übernimmt die Natur, und es gibt einen Ort, zu dem Trauernde sich hinbegeben können, um mit mir in Kontakt zu bleiben. Das fühlt sich jetzt irgendwie besser an als das Mittelmeer. Meine Mutter übrigens findet das auch viel besser. Sie meint, dass, wenn es mein Wunsch gewesen wäre, sie sicherlich versucht hätte, mich zum Mittelmeer zu bringen – aber damit auch irgendwie überfordert gewesen wäre. Zu wissen, dass ich mir eine Beerdigung in ihrer Nähe wünsche, macht sie zufriedener.


Während meiner Recherche finde ich heraus, dass es im Wesentlichen zwei große Anbieter von Waldfriedhöfen in Deutschland gibt: RuheForst® und FriedWald®. Auf der Website von FriedWald® ist zu lesen: „Unsere Buche ist Teil unseres Lebens geworden. Der Gedanke an unseren Baum tröstet mich und nimmt mir die Angst vor dem Tod.“FriedWald-Kundin Edda Spieß


Ich will mehr darüber wissen und verabrede mich mit Corinna Brod. Sie arbeitet seit 13 Jahren für FriedWald. Ich frage sie, wie ihre Erfahrungen mit dem Thema Vorsorge sind.

Corinna Brod: „Interessant ist, dass uns viele Vorsorgekäufer berichten, dass sie in dem Moment, in dem sie sich für einen Platz oder Baum im FriedWald entschieden hatten, eine Erleichterung gespürt haben und froh waren, sich dem Thema gestellt zu haben.“


FriedWald bietet Waldführungen in ganz Deutschland an, bei denen man sich schon zu Lebzeiten für einen Baum entscheiden und diesen auch reservieren kann. Mit einem Vertrag könnte er dann für 99 Jahre meine Ruhestätte sein. Ebenso gibt es Partnerbäume für Paare, Gemeinschaftsbäume für das Ruhen in Gesellschaft und einen Sternschnuppenbaum – einen kostenlosen Baum als Ruhestätte für gefallene Engel unter drei Jahren.

Corinna Brod:Im Grunde genommen handelt es sich nur um einen anderen Bestattungsort. Wie eine Beisetzung abläuft, hängt von den Angehörigen ab, die sie organisieren oder von dem, was der oder die Verstorbene als Wünsche hinterlassen hat. Es kann Musik gespielt werden, Trauerreden gehalten, kleine Rituale am Grab vollzogen werden, wie beispielsweise die Weitergabe eines Steins. Jeder, der ihn in der Hand hält, kann etwas über den Verstorbenen sagen. Möglichkeiten bietet der Wald viele, und manchmal reicht einfach nur die tröstliche Atmosphäre des Waldes aus, um sich liebevoll zu verabschieden.“


Voraussetzung für eine Beisetzung in einem FriedWald ist die Einäscherung. Die Urne ist dann biologisch abbaubar und geht somit in den Kreislauf der Erde zurück. Eine schöne Vorstellung, wie ich finde.


Doch nicht nur Urnen sind heutzutage biologisch abbaubar. Auf einer Messe für Nachhaltigkeit stieß ich auf die Firma boskamp und deren „grüne Särge“. Dort gibt es „Bio Särge“ im Angebot: fairtrade, ökologisch, umweltschonend, aus nachhaltigen Materialien wie wilder Ananas, Bananenblättern, Weidenholz oder Bambus gefertigt. Damit besteht allerdings lediglich die Möglichkeit, auf einem Friedhof beerdigt zu werden. In einem der Reihengräber auf einem der rd. 32.000 Friedhöfe in Deutschland. Angemietet für meist 25 Jahre.


„Was für ein schöner Moment ...“


Nach dieser kleinen, informativen „Reise“ zum Thema „Umgang mit dem Tod“ stelle ich fest: Die Auseinandersetzung mit dem Tod macht ihn für mich weder greifbarer noch schmerzlos noch angenehmer. Das Thema dagegen nicht zu verdrängen, hat etwas Beruhigendes für mich, wie vermutet. Es gibt mir das Gefühl, dass ich mich zeitweilig lebendiger fühle, dass es mir oft leichter fällt, den Moment auszukosten und dass ich viel sensibler für den Augenblick geworden bin. Ich lerne zunehmend, mich mehr auf die Fülle des Lebens auszurichten – und das macht mich zu einem glücklicheren und zufriedeneren Menschen, zeitweise zumindest.


Der indische spirituelle Lehrer Osho (1931-1990) sagt weiterhin über den Tod: „Also, wenn du meinen Vorschlag annehmen kannst, dann denke beim nächsten Mal, wenn ein schöner Moment da ist, in Begriffen des Lebens. ‚Was für ein schöner Moment zu leben, zu tanzen und lebendig zu sein.’ Dann wirst du eines Tages, wenn der Tod kommt, das Gleiche zum Tod sagen: ‚Was für ein schöner Moment zum Sterben!’ “ *


Mal abgesehen davon, dass ich mich der Faszination des Sterbens und des Todes weiterhin zuwenden will, habe ich beschlossen, mich in der nächsten Zeit darum zu kümmern, meine Wünsche zu Papier zu bringen. Denn ich will meine Lieben nicht spekulieren lassen. Wenn es einmal soweit ist, das weiß ich aus eigener Erfahrung, brauchen sie Zeit für den Prozess an sich. Und anstatt sich dann mit Konzepten, Möglichkeiten, Gesetzen und Formalien herumzuschlagen, sollen sie Zeit zum Trauern haben; in Ruhe Abschied nehmen können; und in einem Wald, bei einem Baum, trauern dürfen, wohlwissend, dass alles so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht habe, für sie und für mich.


Und nach all den Gesprächen, mit Menschen, für die das Thema Tod und Sterben beruflicher Alltag ist, komme ich zu der Ansicht: Ja, es gibt einen guten Umgang mit dem Thema Tod. Die Frage ist nur, ob ich mich ihm stelle oder nicht.


Herzlichst

Eure Steffi Haese


erschienen im Reiki Magazin, www.reiki-magazin.de

 
 
 

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